Einkaufszentrum 08:
18.04.2012 Ein Einkaufszentrum in der FGZ von Leer?
 
Die Diskussion um den Neubau eines Einkaufszentrums in Leer ist wieder neu entflammt. Zum Glück mehren sich inzwischen einsichtige Stimmen, die um eine sachliche Diskussion bemüht sind. Wozu ich nicht nur die Befürworter, sondern vereinzelt auch schon einige Gegner einer Aufmöbelung der Innenstadt zähle. Obwohl letztere es einem nicht immer leicht machen, wenn man nur die pöbelnden Schreihälse nimmt.
Da ich etwa 20 Jahre lang als Ratsmitglied (u.a. Bauausschuß) alle maßgeblichen Entscheidungen bezüglich der Einrichtung von Einkaufsmärkten mit getroffen habe, ist es vielleicht interessant, einmal zurückzublicken. Auch wenn wir heute vorwärts blicken sollten, lohnt doch der Rückblick, um aus den gewachsenen Vorteilen und Nachteilen zu lernen.
 
Es begann eigentlich in Heisfelde, damals noch selbstständige Gemeinde. Hier erarbeiteten sich die Brüder Brahms aus dem Moormerland mit dem „kleinen“ multiMarkt ein immer größer werdendes Einzugsgebiet und paßten weitsichtig mehr und mehr das Warensortiment den Bedürfnissen der Bevölkerung an. Das traf nicht überall auf Zustimmung, denn es gab einmal alleine in diesem Ortsteil 16 sog. „Kolonialwarenhändler“, die nach dem 2.Weltkrieg alle nach und nach schließen mußten. Heute gibt es kaum noch selbstständige Läden der Nahversorgung in Heisfelde. Alles ist im „multi“ integriert, alles gibt es dort „gut und günstig“ zu kaufen. Der Markt hat sich längst zum einzigen Nahversorgungs- und Kommunikationszentrum mitten im früheren Dorf gemausert. Und noch immer ist er inhabergeführt. Die Einwohner zollen Fritz Rudolf Brahms Respekt und Anerkennung. Selbst immer „im Laden“, hat er es verstanden, das Sortiment immer den Wünschen der Kunden anzupassen und durch ständiges Verbessern der Gebäude- und Einrichtungsstrukturen eine ansprechende Einkaufsatmosphäre zu schaffen. Man denke auch nur an die Auszeichnung für das behindertengerechte Einkaufen in seinem Markt. - Auch wenn es in der Entwicklung immer wieder einmal Widerstand gab, bei der eben auch die letzten kleinen Geschäfte im Ort auf der Strecke blieben, so war es doch eine Erfolgsgeschichte, gut für Brahms, gut für den Ortsteil und gut für seine Kunden.
 
Wie entwickelte sich die Innenstadt aber in der benachbarten Stadt Leer? Hier
  • hatte der damalige Stadtdirektor Dr. Bakker den Bau der nördlichen Umgehungsstraße durchgesetzt. Er wurde u.a. deswegen heftig kritisiert, verlor später sogar sein Amt. Bis dahin fuhr der Fahrzeugverkehr, einschließlich LKW und Busse, noch durch die Mühlenstraße in Richtung Emden und Groningen. Man kann sich das heute kaum noch vorstellen. Welch eine Weitsicht von Verwaltung und Rat! Wenn die Umgehungsstraßen (später Stadtring) nicht rechtzeitig geschaffen worden wären, hätte man heute Verhältnisse wie z.B. in Aurich, die als Folge fehlender rechtzeitiger weitsichtiger Planungen nun eine „verkehrsdurchflutete“ Innenstadt hat. In Leer hingegen schuf man schon damals durch eine weitsichtige Verkehrsplanung die Voraussetzungen für die Einrichtung der heutigen Fußgängerzone Mühlenstraße,
  • haben Rat und Verwaltung schon sehr früh die Planung der Autobahn in unserem Raum begleitet und entsprechende Entscheidungen getroffen, die eine leichte Erreichbarkeit der Stadt aus dem ostfriesischen Umland zum Ziel hatten. Ich erinnere mich noch sehr gut, dass der damalige Stadtbaurat Buhr sich mit Vehemenz für fünf (!) Anschlussstellen der Autobahn im Stadtbereich einsetzte (Leer-Ost, Leer-Nord, Leer-Deichstraße, Leer-Bingum/Rheiderland). Eine weitere Abfahrt als westliche oder östliche Umgehung Bingums scheiterte an der Uneinsichtigkeit der Bingumer Bürger, mit unterstützt durch Parteiengezänk darüber. Welche Stadt in Deutschland ist wohl so gut angebunden wie Leer und hat dadurch letztlich auch die Erreichbarkeit seiner Innenstadt so ermöglicht,
  • wollte das Modekaufhaus C&A nach Leer. Aber auch Oldenburg als Mitbewerberstadt stand in der Diskussion. Da waren es in Leer die großen Textilgeschäfte gerade der oberen Mühlenstraße, die um einen Zuzug von C&A zu ihnen in ihren Bezirk kämpften. Ich habe das damals anfangs nicht verstanden. Wie kann man sich mit der Ansiedlung eines weiteren Großgeschäftes noch mehr Konkurrenz, gerade in diesem Marktsegment und gerade in der oberen Mühlenstraße, ans Bein binden? Das Argument der Kaufleute: Wir brauchen eine Stärkung des Einkaufsstandortes Leer. Sonst werden wir im ostfriesischen Bereich abgehängt. Der Erfolg gab ihnen recht. Leer wurde durch diese und ähnliche Entscheidungen zur Einkaufsstadt Nr.1 in Ostfriesland.
  • hat der Rat der Stadt Leer, gegen den erbitterten Widerstand eines Teils der Kaufleute gerade der unteren Mühlenstraße, die Einrichtung der Fußgängerzone durchgesetzt. Der Rat hat sich in der Diskussion nicht auseinander dividieren lassen (allerdings standen damals auch keine Wahlen an).  Die andere Gruppe, weitsichtige Kaufleute, forderten: Wenn wir nicht mit federführend auf den Zug der Zeit aufspringen und die gerade in Mode gekommenen Fußgängerzonengestaltung in Leer einführen, werden wir in Ostfriesland durch andere Städte abgehängt. Die Erfolgsgeschichte gelang, wenn auch in mehreren Abschnitten.
  • Es gab auch eine auf den ersten Blick innenstadtfeindliche gegenläufige Entwicklung. Ich meine die Einrichtung von Einkaufszentren „auf der grünen Wiese“ am Stadtrand, die damals in Mode kamen und seinerzeit heftig umstritten waren: Die Märkte Emspark und multiSüd. Ein drittes Zentrum an der Autobahnabfahrt in Hohegaste, bei der die Bevölkerung mit einer angegliederten Eislaufhalle geködert werden sollte, konnte verhindert werden. Insbesondere die kleinen Kaufleute in der Innenstadt wehrten sich dagegen, fürchteten eine Entvölkerung mit großem Kaufkraftverlust in der Innenstadt (wie sich doch die Bilder gleichen!). Man forderte, solche Märkte dann doch lieber in die Fußgängerzone zu holen, um die Attraktivität zu stärken. Es gab den ersten (gescheiterten) Markt vor dem EWE-Parkhaus (heute von der Sparkasse genutzt). Es gab Vorschläge, z.B. von Herrn Büscher und Herrn Janssen, als Antwort auf die einsetzende Dezentralisierung einen Markt auf dem Ernst-Reuter-Platz zu bauen usw. Gerade in der Zeit der Errichtung der Stadtrandmärkte haben die Kaufleute der Innenstadt immer wieder die Attraktivitätsstärkung der Innenstadt gefordert, auch durch den Bau von integrierten Einkaufszentren mit vielfältigem Angebot.
 
Gerade wegen der geschilderten Erfahrungen setze ich mich für eine Stärkung der Innenstadt ein. Bereiche, wo es viel zu tun gibt, sind
a) die Altstadt und
b) die Fußgängerzone.
Bezüglich der Aufwertung der Altstadt möchte ich der Projektgruppe der Bürger nicht vorgreifen. Man kann wohl nicht nur von einem Museum leben. Doch das wäre ein Sonderthema. Grundsätzlich erfordert die Verbesserung der Situation dort aber ganz andere Lösungen als in der Fußgängerzone. So wäre das Hineinklotzen eines Einkaufszentrums dort falsch, weil es die dort noch vorhandenen Strukturen nun vollends zerstören würde. Allerdings sprengen schon heute der sog. „Kleemannbunker“, die AOK und der Neubau der Ostfriesischen Volksbank (um nur einige zu nennen) die gewachsenen Altstadtproportionen.
Bezüglich der FGZ sehe ich, täglich vermehrt, Schwächen in der Einkaufsentwicklung.  Zu loben ist zunächst der Einsatz der Kaufleute selbst, insbesondere der Werbegemeinschaft unter Führung von Herrn Poppen. Es ist - im Vergleich mit anderen mitbewerbenden ostfriesischen Städten - imponierend, was hier auf die Beine gestellt wird. Mag sein, dass das z.Zt. etwas kopflastig zu Gunsten der oberen Mühlenstraße ausfällt. Aber da sich auch immer mehr Kaufleute der Altstadt der Werbegemeinschaft anschließen (gerade aktuell), wird auch diesen Stimmen mehr Gehör verschafft werden. Ich sehe allerdings in dem Straßenbereich der FGZ zwischen Frisia-Kreuzung und Ledastraßendurchbruch auch das größte Potential, wenn es um die Interessen der Gesamtstadt geht. Denn dort zeigt die FGZ starke Abnutzungserscheinungen, droht an normalen Wochentagen, erst recht am Sonntag, einzuschlafen. Abgesehen von den Aktionstagen der Werbegemeinschaft sieht man zuwenig einkaufstütentragende Passanten in der FGZ. Nur sonnabends, meistens wird das aber um Mittag schon weniger, ist Schlendern und Kaffeetrinken angesagt, weniger das Einkaufen. Dazu trägt dann auch die parallel geführte Hafenpromenade mit Brücken bei. Doch das reicht auf die Dauer nicht, um die Einkaufsstraße wettbewerbsfähig zu halten. Es fehlt ein Einkaufsmittelpunkt in der oberen Mühlenstraße, der abstrahlt und wieder mehr Kunden in die gesamte Innenstadt bringt.
 
Wichtig ist, dass die Kunden überhaupt in die Mühlenstraße kommen. Es wäre fatal, wenn sie nur die hintere Bgm.-Ehrlenholtz-Straße anfahren, dort parken und anschließend wieder über die Bgm.-Ehrlenholtz-Straße die Stadt verlassen, ohne die Mühlenstraße überhaupt zu Gesicht bekommen zu haben. Es ist also eine enge Verknüpfung des Einkaufszentrums mit der FGZ Mühlenstraße notwendig. Mit mehreren Ein- und Ausgängen dahin.
 
Das Einkaufserlebnis FGZ wird nicht nur geprägt durch die Vielzahl der Geschäfte mit einem vielseitigen bunten Warenangebot. Ein Pfund, mit dem wir wuchern können – das weiß ich aus vielen Gesprächen mit auswärtigen Besuchern der Stadt – ist die schmalgliedrige abwechselnde giebel – und traufenseitige Architektur der Geschäftslokale in der FGZ in ostfriesischer Bauweise. Hier ist eine Bestandsaufnahme notwendig und ein Rückbau nicht stilgerechter Bauteile. Bauliche Ergänzungen müssen die Architekturelemente, beispielsweise auch die Öffnungs- und Gesimslinien der angrenzenden Baukörper aufnehmen. Die Werbung an den Häusern ist zu minimieren und vieles mehr. Das ist nicht nur ein Wunsch der Architekten und Denkmalspfleger. Es ist vielmehr in ureigenem Interesse der Ladeninhaber, ihre Fronten wieder attraktiver zu gestalten, in Verblendmauerwerk und schmalgliedriger Öffnungsgestaltung im Hochkantformat. Auch eine neue geschlossene gut gegliederte Straßenrandbebauung, möglichst mit einer durchgehenden Arkarde, wäre an der Bgm.-Ehrlenholtz-Straße wünschenswert.
 
Der Branchenmix, das Sortiment und die sinnvolle Zuordnung zueinander sind wichtig. Der Ratsherr der Linken, Ulrich Biester, wies zu recht auch darauf hin, dass die Parkplätze z.B. dem Lebensmittelmarkt zugeordnet werden müssen. Es kann doch nicht sein, dass der Kunde mit seinem Einkaufswägelchen die stark befahrene Bgm.-Ehrlenholtz-Straße überqueren muß, um zu seinem Kofferraum im EWE-Parkhaus auf der anderen Straßenseite zu gelangen.
 
Vieles an Anregungen ließe sich einbringen – wenn man sich doch endlich auf einen Grundkonsenz einigen würde!
 
Die Kaufleute sollten gemeinsam auftreten, gemeinsam sprechen, gemeinsam als Partner der Stadt auftreten und primär das Gemeinwohl der Stadt im Auge haben. Dann würden sie auch mit ihrem persönliches Anliegen provitieren.
Man sollte vielleicht auch ein wenig mehr Vertrauen haben, einmal in den Rat der Stadt, aber auch zu den großen Kaufleuten, die bewiesen haben, dass sie ihr Geschäft verstehen. Dann kann es was werden. Es darf nicht wieder vorkommen, dass ein großes Projekt, eine große Chance der Innenstadtentwicklung, so kaputt geredet wird, wie das bislang geplante Center. Vom Stil der Auseinandersetzung ganz zu schweigen.
 
Wobei wir wieder beim Anfang dieses Aufsatzes wären.
Berend Schröder
Leer-Heisfelde - 18.April 2012