07.01.2012 BS
Schmierentheater
 
Ich habe das Schmierentheater um und mit unserem Bundespräsidenten allmählich satt. In allen Tages- und Wochenzeitungen, vorab in der Bild-Zeitung, dem Stern, dem Spiegel, den bunten Blättern, in Talkshows usw., aber auch in den Regionalzeitungen, hört, sieht und liest man täglich und immer wieder Neues zur sogenannten „Affäre Wulff“. Haben wir eigentlich sonst keine Probleme in der Republik?
 
Offenbar langfristig vorbereitet demontiert insbesondere die Springer-Presse, andere schließen sich scheinheilig an, Scheibchen für Scheibchen jeden Tag ein bisschen mehr Herrn Wulff. Und was schlimmer ist, das Amt des Bundespräsidenten. Es ist ein Kampf um Umsatzzahlen entbrannt, nicht um die Demokratie, wie man uns glauben lassen will. Sozialneid und Stammtischniveau beherrschen den Stil der von der Presse am Kochen gehaltenen Debatte.
Zunächst wurde uns über die Medien vorgegaukelt, es sei unakzeptabel, dass Herr Wulff nach einer schwierigen Scheidungsphase und dem Neuanfang in einem neuen Haus um günstige Konditionen für den notwendigen Kredit verhandelt. Das machen wir doch alle, wenn wir Geld brauchen! Wulf ist unser erster Mann im Staat und handelt genau so, wie wir es machen würden! Das ist doch völlig „normal“! Sicherlich hätte er sich das Geld doch auch anders beschaffen können, von befreundeten Bänkern oder Kaufleuten. Auch das wäre in Ordnung gewesen, wenn er das Geschäft solide abwickelt. Wenn die Familie Geerkens, mehrfach Trauzeuge der Familie und eng mit den Wulffs befreundet, der Familie für die erste Zeit zunächst einen Überbrückungskredit gibt, übrigens nicht ganz zinslos (4%), ist das doch nicht schlimm! Längst hat Wulff die Summe abgelöst, zu einem Gott sei Dank z.Zt. marktgünstigen Zinssatz bei einer Bank. Was ist daran eigentlich verwerflich?
Ob Herr Wulff nun gesagt hat, der Kredit komme von Frau Geerkens oder Herrn Geerkens oder dem Ehepaar Geerkens, ist doch vollkommen wurscht! Aus einer vielleicht etwas mißverständlichen Aussage von Herrn Wulff gleich eine Staatskrise zu machen, ist doch lächerlich!
Immerhin wirft kein Mensch, m.W. nicht einmal die Bild-Zeitung, Herrn Wulff in der sog. Kreditaffäre bislang vor, gegen geltendes Recht verstoßen zu haben. Es geht nur um das Motto: Das tut ein Ministerpräsident oder ein Bundespräsident nicht! Das ist ja ein Standpunkt, den man teilen oder nicht teilen kann. Was soll dann nach dieser Lappalie aber nun diese Hetzjagd der Presse, die schweren Schaden anrichtet, neben dem Amtsinhaber auch das Bundespräsidentenamt als Institution in Misskredit bringt und wieder einmal zur schon weit verbreiteten Politikverdrossenheit der Bürger beiträgt?
 
Inzwischen geht es gar nicht mehr um die Kreditgeschichte. Wie man hört und liest, wird seit geraumer Zeit schon - sozusagen auf Vorrat - die Halbschwester des Bundespräsidenten ausgehorcht, spionieren Reporter im Vorleben der früheren und der heutigen Frau von Christian Wulff herum. Die Patchworkfamilie mit wie viel Kindern aus wie viel Ehen und Beziehungen wird durchleuchtet und bewertet, die un-katholische Eheschließung der Wulffs kritisch beäugt. Aus welchem Anlaß hat sie sich wohl das Tattoo stechen lassen? Woher hat sie nur ihre Designerkleider? Das Ergebnis werden wir alle scheibchenweise noch lesen können – wenn nicht der Bundespräsident zurücktritt, um Schaden von dem Amt und von seiner Familie abzuwenden.
Als Christian Wulff auf seiner Auslandsreise erfuhr, daß es neuerdings nicht mehr so sehr um den Kredit geht, sondern jetzt in seinem Privatleben recherchiert wird und er den Braten roch, der dort in der Röhre schmorte, soll er dann dazu schweigen? Auch ich hätte bei der Zeitung angerufen und mich beschwert. Das darf auch ein Bundespräsident!
Und glaubt man wirklich, dass der Bundespräsident es nötig hat, die Pressefreiheit unseres Rechtstaates infrage zu stellen? Seine bisherigen Reden zu diesem Thema deuten auf das Gegenteil hin. Wo sind jetzt die Demokraten, die dieses Schauspiel der privaten Einvernahme und politischer Demontage ablehnen und nicht mitmachen? Auch die Funktionsträger, unsere gewählten Vertreter, ducken sich, kneifen, springen ihm nicht bei. Immerhin denkt die Bevölkerung anders: 56% (ARD) bzw. 50% (ZDF) der Deutschen sind dafür, dass Wulff im Amt bleibt, 60% wollen ihm eine zweite Chance geben. Über 50% meinen, die Medien wollen Wulff fertigmachen.
 
Es ist köstlich zu erleben, wie gerade die BILD-Zeitung, die tagtäglich hart am Mann (Frau) schreibt, sich um die Pressefreiheit sorgt. Inzwischen wird es auch den unkritischen Lesern allmählich klar, daß es der Medienlandschaft (unter dem Deckmantel der Sorge um unsere Demokratie) in Wirklichkeit nur um das Geschäft geht. Jeden Tag muß eine neue Schlagzeile auf den Tisch.
Richtig deutlich wird dieser scheinheilige Krieg um (Umsatz-)Prozente durch die Reaktion von BILD zum Anruf des Bundespräsidenten (für den dieser sich im übrigen entschuldigt hat). Auf die Mailbox des Handys des "Bild"-Chefredakteurs Kai Diekmann hat er gesprochen. Wieso kommt das einseitige Gespräch dann aber nach draußen? Den aufgezeichneten Text kann doch nur der Herr Diekmann selber weitergegeben haben. Dann aber ist es seitens der Bildzeitung ein Vertrauensbruch sondergleichen, wenn ein beabsichtigtes vertrauliches Gespräch mit dem Bundespräsidenten so zur Umsatzmaximierung genutzt wird. BILD hat zwar erklärt, es habe die Geschichte des Anrufs nicht verwandt. Aber andere Zeitungen durchaus. Wie sind diese dann wohl an den Mobilboxtext des Handys des Bild-Chefredakteurs Diekmann gekommen? Also doch weitergegeben? Wo ist da die Wahrheit, was ist Lüge? Das ist die eigentliche Medienaffäre! Es muß doch möglich sein, dass der Bundespräsident ein vertrauliches Gespräch mit der Zeitung führt, die ihn anfeindet. Andere Presseorgane würden sich um solch ein Interview reißen.
Aber der Bild-Zeitung kam offensichtlich der Anruf des Bundespräsidenten gerade recht, das einträgliche Thema am Köcheln zu halten, nachdem sich die sogenannte Kreditaffäre allmählich abgeschwächt hatte. Neue Inhalte mussten her. Da erinnerte man sich an ein vor drei Wochen verpasstes Gespräch mit dem Bundespräsidenten. Der Chefredakteur war nicht da und Wulff machte seinem Ärger über die beabsichtigte Veröffentlichung auf der Mobilbox des Herrn Diekmann Luft, verlangte zumindest eine Verschiebung, bis er wieder aus dem Ausland zurück sei.  
Menschlich, meine ich, verständlich. Aber politisch wohl nicht klug, sich so in die Hände der BILD-Zeitung zu begeben. Es ist nun scheinheilig, wenn dieser Anruf des Bundespräsdenten, mit der zugegeben deutlichen Ansage, zu einer Demokratiekrise hochgespielt wird. Ich empfinde den Vertrauensbruch der BILD-Zeitung (Weitergabe des Gesprächsinhaltes) als viel schwerwiegender. Wo ist denn die so hoch gelobte Pressefreiheit in Gefahr? Durch den Bundespräsidenten, der – vielleicht ein wenig zu deutlich - nur seine Meinung vorgetragen hat? Die Presse teilt doch auch deutlich aus, wie man jeden Tag lesen und sehen kann. Darf ein Bundespräsident das nicht, wenn es gilt, Schaden vom Amt abzuwenden - vielleicht auch, um seine Ehre zu verteidigen? Der Ruf nach Pressefreiheit ist doch keine Einbahnstraße, die man immer wieder einmal aus dem Hut zaubert, wenn es so passt. Pressefreiheit hat auch etwas damit zu tun, dass man den Betroffenen fair behandelt, seine Privatsphäre bei Veröffentlichungen achtet. Letzteres ist heute leider oft nur noch Theorie.
 
Oder war es nicht doch ein Selbsttor, in diesem Fall der Bild-Zeitung, die mit diesem Vertrauensbruch zukünftige vertrauensvolle Gespräche mit Politikern gefährdet? Jeder verantwortliche Politiker, der ein internes Hintergrundgespräch mit einer Zeitung führt, muß zukünftig doch befürchten, daß er den Inhalt am nächsten Tag (oder in drei Wochen) in derselben lesen kann. Zumindest, wenn eine offensichtlich publikumswirksame Negativschlagzeile dabei herauskommt.
 
Will die Presse das wirklich? Ich kann es - zumindest für den Großteil unserer Medienlandschaft – nicht glauben. Es kann doch nicht sein, daß alle Verlagshäuser ins Horn der BILD-Zeitung stoßen. Dazu zählt leider auch die regionale schreibende Presse. Man hätte die Möglichkeit gehabt zu beweisen, dass man sich durchaus selbst eine unabhängige Meinung bilden kann. Ein differenziertes, mit eigenen Schwerpunkten, dass dem Leser vor Ort Orientierung gibt. Das fehlt mir. Auch, wenn die Zeitung möglicherweise einmal gegen den Strom schwimmen muß. Aber man hat nur abgeschrieben.
 
Für das Neue Jahr wünsche ich mir also eine Medienlandschaft, die nicht nur kritiklos übernimmt, was aus dem Ticker kommt. Die nicht nur nörgelt und mies macht, wenn es um Politik geht. Ich wünsche mir Redakteure in den Redaktionen, in Talkshows und Kommentatoren, die selbstverständlich das politische Leben offen und – wo es nottut- auch kritisch begleiten, aber sich nicht wie Geier auf sogenannte Verfehlungen stürzen. Sondern auch öfter einmal positives herausstellen, konstruktives, vorbildliches, nachahmenswertes. Das wäre besser für uns, für unsere Jugend, letztlich auch für unsere Demokratie.
 
Berend Schröder
Leer-Heisfelde, 07. Jan. 2012
www.bs-meine-meinung.homepage.eu